Disclaimer
Meine Meinung zum Thema Finanzkrise. Ich habe die letzten Wochen etwas Zeit damit verbracht, mich in die Materie einzulesen und mir die Meinungen verschiedener Experten aus verschiedenen Lagern anzuhören. Trotzdem bin ich natürlich nur ein Laie und kann nur eine persönliche Wertung dieser Argumente vornehmen, die natürlich von meiner Weltanschauung geprägt ist.
Zuerst einmal muss ich sagen, dass ich den ESM und die anderen Formen von Rettungsschirmen nicht für die Lösung des Problems halte. Wenn überhaupt, werden dabei nur Symptome bekämpft, um etwas Zeit zu gewinnen, während man mit anderen Maßnahmen die eigentliche Rettung versucht.
Was an der Kritik am ESM schlecht ist
Trotzdem bin ich mit dem, was ich an Gegenbewegung gegen ESM & Co sehe, nicht zufrieden. Und zwar aus mehreren Gründen:
Potenzielle Partner
Es gibt verschiedene Gruppen, die sich eine Gegnerschaft zur Eurorettung gerade auf die Fahne geschrieben haben, mit denen ich aber überhaupt gar nichts zu tun haben möchte. Leider gibt es teilweise unter den Piraten keine Berührungsängste mit diesen Gruppierungen.
Da haben wir zum einen Marktradikale, die am liebsten überhaupt keine staatliche Umverteilung sähen, weder innerhalb eines Staates, noch zwischen Staaten. Marktradikale (Dazu gehören z.B. „Partei der Vernunft“ und „Zivile Koalition“) wollen letztendlich Steuern und Sozialsysteme größtenteils abschaffen oder bis zur Bedeutungslosigkeit beschneiden. Und vom Argument „Wieso sollen wir in Land A etwas an Land B zahlen, nur weil die schlechter wirtschaften“ ist man schnell bei „Wieso sollen wir in Bundesland A etwas an Bundesland B zahlen, nur weil die schlechter wirtschaften“ und dann auch sehr schnell bei „Wieso soll ich fleißiger Mensch Geld an die arbeitslosen Taugenichtse hier in Deutschland zahlen“.
Dann sind da die Esoteriker, die generell Angst vor Institutionen haben, weil hinter Institutionen ja immer die Illuminati/Freimaurer/Juden/Reptiloiden stecken, denen es darum geht, die Menschen zu unterdrücken und zu willfährigen Sklaven zu machen. Dazu gehören dann auch wieder Teile der Partei der Vernunft, Gruppen wie das Netzwerk Volksentscheid und andere verschwörungstheoretische Gruppierungen.
Dann gibt es noch Nationalisten und völkische Gruppen, die eine europäische Einigung ablehnen, weil sie die Autonomie von Nation bzw. Volk gefährdet sehen. Das Spektrum reicht da von eher harmlosem Nationalismus wie im gemäßigten Flügel der Republikaner bis hin zu völkischer Ideologie wie beispielsweise bei der NPD.
Schließlich gibt es noch Gruppen, die unser Wirtschafts- und Geldsystem kritisieren und sie durch ein anderes ersetzen wollen, z.B. Freiwirtschaft o.ä. Ich denke, hier gilt das gleiche wie beispielsweise bei Regierungssystemen: Die liberale Demokratie ist kein perfektes Regierungssystem, aber es ist das beste unter denen, die funktionieren. Genauso ist ein System mit dezentraler Geldschöpfung, Zinsen und einem relativ freien Markt kein perfektes Wirtschaftssystem, aber es ist das beste, das funktioniert. Daneben gibt es auch gerade zwischen Zinskritikern und rechten Esoterikern häufig personelle und weltanschauliche Überschneidungen.
Mit all diesen Gruppierungen möchte ich nichts zu tun haben, und jeder verantwortungsbewusste Pirat/Mensch sollte sich immer genau anschauen, mit wem er bei einem Projekt zusammenarbeiten möchte und welche Ideen dahinter stecken.
Falsche Anschuldigungen
Der Vorwurf, der ESM schaffe die Demokratie ab und wäre eine neue unkontrollierbare Wirtschaftsregierung Europas, ist lächerlich. Viele der Details im ESM-Vertrag werden ohne Kontext und ohne Hintergrundwissen über das Völkerrecht und die Gepflogenheiten übernationaler Verträge betrachtet und falsch verstanden. Einige Experten, die es eigentlich besser wissen müssen, nutzen das aus und verbreiten solche falschen Interpretationen.
So schreibt Stefan Homburg in seinem Artikel in der FAZ:
Zwar veröffentlicht der ESM einen testierten Jahresabschluss, doch wählt er die Prüfer selbst aus. Eine externe Kontrolle durch Rechnungshöfe oder gar Abgeordnete findet nicht statt.
Korrekt ist, dass ein testierter Jahresabschluss erstellt wird. Dies passiert durch einen externen Wirtschaftsprüfer. Genauso wie z.B. die Piratenpartei sich ihren Wirtschaftsprüfer aussuchen kann, kann sich auch der ESM den Prüfer aussuchen. Dieser muss aber ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen mit entsprechender Qualifikation und Zulassung sein und ist gesetzlich zur neutralen Wahrnehmung der Aufgabe verpflichtet.
Zusätzlich existiert noch eine interne Prüfinstitution. Und in dieser sind sowohl der europäische Rechnungshof als auch (nach einem Rotationsverfahren) die einzelnen nationalen Rechnungshöfe vertreten. Außerdem hat diese interne Prüfinstitution noch eine Berichtpflicht gegenüber den nationalen Rechnungshöfen.
Auch die im ersten Teil des Artikels aufgestellte Behauptung, die Haftung Deutschlands könnte ohne Zustimmung des Bundestages erhöht werden, ist falsch. Die deutschen Begleitgesetze regeln klar, dass keine solche Entscheidung möglich ist, ohne dass der Bundestag zustimmt. Homburg gibt das am Ende seines Artikels auch zu (Interessanter rhetorischer Kniff: Zuerst eine falsche Behauptung aufstellen und diese dann erst später relativieren), behauptet aber dann, der deutsche Vertreter im ESM könne diese Regelung eigenmächtig umgehen, was Unsinn ist.
Da kommt dann auch gleich das Thema mit der Immunität/Indemnität/Steuerfreiheit des ESM und seiner Amtsträger. Hier gilt:
Natürlich zahlt der Finanzminister in Deutschland weiterhin Steuern. Die Steuerfreiheit bei Amtsträgern und Angestellten des ESM bezieht sich lediglich auf Gehälter und Aufwandsentschädigungen, die der ESM zahlt.
Das ist eine gängige Praxis bei übernationalen Organisationen und dient zusammen mit der Steuerfreiheit der Transaktionen der Organisation selbst dazu, ständige Konflikte über den Sitz der Organisation und die Nationalität der Angestellten aus finanziellen Gründen zu verhindern.
Also die Sache mit der Immunität… Da muss man zwischen der Immunität der Personen und der Immunität der Institution unterscheiden. Die Immunität der Personen bezieht sich nur auf Aktivitäten im Rahmen des ESM. Das ist eine Erweiterung der Immunität der Institution. Die Institution kann die Immunität der einzelnen Personen auch wieder aufheben. Und die Institution sind letztlich wiederum die Regierungen der Mitgliedsstaaten.
Die Immunität der Institution ist eine zwingende Notwendigkeit, um allgemeine rechtsstaatliche Prinzipien umzusetzen. Eine betroffene Partei in einem Rechtsstreit kann nicht zeitgleich Richter sein. Deshalb darf eine übernationale Organisation nicht durch die nationale Exekutive oder Judikative angreifbar sein, sondern nur durch übernationale Gerichte. Im Falle des ESM ist das der EuGH. Die Mitglieder können den ESM vor dem EuGH verklagen und umgekehrt.
Dieses Vorgehen ist wiederum ein etabliertes Vorgehen bei übernationalen Institutionen. Es gilt exakt so für die EZB, die WHO, die ITU und sogar das IOC. Die ICANN kämpft seit Jahren darum, den gleichen Status zu erlangen, um endlich dem Einfluss der amerikanischen Politik entfliehen zu können.
Bei der Immunität handelt es sich also nicht um eine besondere Regelung, um dem ESM Gottstatus zu verleihen, sondern um ein etabliertes Prinzip, um übernationale Institutionen dem politischen Einfluss einzelner Staaten zu entziehen.
Also bitte: Reden wir über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Rettungsschirme, aber nicht über Untergang des Abendlandes und Ende der Demokratie, wo beides nicht in Sicht ist.
Was am ESM schlecht ist
Die Wirtschaftspolitik (inklusive ESM), wie wir sie aktuell bei der Euro-Rettung sehen, ändert nichts am eigentlichen Problem: Dass einem international agierenden Markt keine internationale Marktregulierung gegenübersteht. So entsteht ein Wettbewerbsdruck zwischen verschiedenen Volkswirtschaften, bei dem die Staaten die besten Chancen haben, die die Wirtschaft möglichst wenig einschränken. Arbeitnehmerrechte, Sozialsysteme, Umweltschutz, Demokratie und viele andere gute Ziele bleiben dabei auf der Strecke.
Auch berücksichtigt dieses System nicht, dass verschiedene Staaten aufgrund ihrer Geschichte oder ihrer natürlichen Ressourcen unterschiedliche Startbedingungen haben, um an diesem globalen Wettbewerb teilzunehmen.
Kurzfristig würde ich mich für einen Schuldenschnitt der gesamten Euro-Zone aussprechen.
Mittelfristig sollten wir darauf hinarbeiten, Wirtschafts- und Sozialsysteme zuerst auf Europa-Ebene und dann international zu vereinheitlichen und eine globale Marktregulierung nach demokratischen Prinzipien und unter demokratischer Kontrolle zu schaffen. Nur wenn diese Bedingungen geschaffen wurden, wäre es dann auch möglich, eine nicht rein wachstumsorientierte Wirtschaft zu etablieren und das Schuldenwachstum staatlicher Haushalte zu stoppen.
Die Haftungssumme konnte über folgenden Umweg ohne Parlamentsbeschluss erhöht werden: Kommt ein Mitgliedsland einer Zahlung nicht nach, so verliert es das Stimmrecht im Gouverneursrat (sehr demokratisch) und der fehlende Betrag wird auf die anderen Mitglieder nach neu zu berechnendem Schlüssel umgelegt. Sprich je weniger Länder den Zahlungsverpflichtungen nachkommen erhöht sich nicht nur die Haftung von Deutschland sondern erhöht sich auch der Schlüssel. In der Sendung “Anne Will” vom 12.09.12 wurde von Prof. Dr. Sinn dieser Automatismus als “Schlupfloch” bezeichnet. Für Mich ist das aber der eigentliche Mechanismus des ESM. Ob nun dieses “Schlupfloch” nun auch durch das “aber” des BVerfG Urteils vom 12.09.12 auch “demokratisiert” wird bleibt abzuwarten.
Mich würde es nicht wundern wenn durch die neuen Anforderungen der ganze Vertrag neu verhandelt werden müsste, da durch Stimmrechtsverlust ja systematisch die Gefahr eines Entzugs demokratischer Kontrolle entsteht. Zusätzlich noch ungeplante durch andere Länder aufgezwungene Haftungserhöhungen die auch das Parlament durchlaufen müssten. Warum sollte nur Deutschland eine Sonderrolle einnehmen und den anderen Vertragspartnern das verweigert werden? Da aber der Stimmrechtsverlust eine der wenigen Druckmittel des ESM sind, würde er mit Neuverhandlung zum zahnlosen Tiger werden und damit obsolet.
Der fehlende Betrag wird auf die anderen Mitglieder verteilt, aber auch nur bis zu deren maximaler Haftungssumme. Das ist zumindest die gängige Interpretation des Vertragstextes.
Die Bundesrepublik wird nun nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bei der Unterzeichnung eine Protokollnotiz beilegen, die diese Interpretation nochmal hervorhebt.
Damit gilt diese Interpretation auch für andere Länder, da man bei einer abweichenden Umsetzung die Mitgliedschaft Deutschlands aufs Spiel setzen würde.
Im ESM steht doch ganz klar, dass schlicht nur gewährleistet sein muss, dass die Momentanen 700Mrd€ sicher gestellt sein müssen. Zahlt ein Vertragspartner nicht, wird neu berechnet und die Haftung verteilt. Die Grenze mit der maximalen Haftungssumme habe ich im Vertrag nirgendwo gesehen. Sollte es ihn geben, dann bitte ich um Stellenangabe.
Artikel 8 Absatz 5
Das beißt sich mit Artikel 25 Absatz 2. Oder es geht nach dem Motto: Wird nicht so schlimm kommen.
Nein, das beißt sich nicht. So ein Abrufen von Finanzmitteln wird sich ja nicht auf das gesamte Kapital erstrecken. Und wenn, dann greift Artikel 8, der eben “in all circumstances” die Haftung für die Einzelmitglieder begrenzt.
Nicht auf das gesamte Kapital aber es kann die 190Mrd. ohne Parlamentsbeschluss knacken. Darum geht es ja: Unkontrollierbar und undemokratisch.
Wenn das alles unter allen Umständen so einfach wäre, dann bräuchte man:
1. Keine Interpretation eines Vertrages, der noch nicht mal gültig ist.
2.Keine zusätzliche Note um das klar zu stellen.
Ich für mein Teil bin gespannt ob Art. 25 Abs. 2 in diesen Zusatzprotokoll besondere Erwähnung erfährt.
Nein, die 190 Milliarden Haftungssumme für DE können nicht ohne Zustimmung des Bundestags erhöht werden.
Die Klarstellung ist notwendig, um die Öffentlichkeit zu beruhigen, wo anderslautende Behauptungen verbreitet werden.
Ja, jetzt ist für alles eine Zustimmung des Bundestagen notwendig. Das war vor dem BVerfG Urteil nicht klar. Die anderslautenden “Behauptungen” sind ja auch durch den Vertragstext begründet. In Deinem 2. Comment redest du auch nur von “gängiger Interpretation”. Eine vorsichtige Formulierung, die eine andere Interpretation impliziert.
Letztendlich muss man sich aber das Zusatzprotokoll ansehen. Ansehen ob die anderen Mitglieder zustimmen müssen und wenn ja ob sie das tun. Weiterhin kommt ja noch das Haupturteil des BVerfG.
Herr Schwarz,
wenn man keinen blassen Schimmer von den Abläufen des Weltgeschehens hat, sollte man sich mehr zurück halten. Das tun offenbar auch die Leser Ihrer Seite hier und das sieht dann aktuell genau so wie unten gezeigt aus.
Hier ein Link für Sie zum Kapieren, daß ESM und Fiskalpakt, insbesondere die kleine Vertragsänderung (AEUV 136.3 auch kleine Vertragsänderung genannt):
http://netzwerkvolksentscheid.de/wp-content/uploads/2012/09/klage-igh-esm.pdf
Nichts für ungut, wird vielleicht noch.
Sie sind Bundesvorstand der Piraten in Badenwürtemberg? Damit haben Sie eigentlich eine Multiplikationsfunktion? Wenn die so aussieht, wie hier beschrieben, dann gute Nacht.
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gerade soviel Zeit, daß sich der User beim Betreten Ihrer Seite noch in Ruhe die Hacken bekotzen kann…