Snowden-Interview und Verbreitungsrechte

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat heute begleitet von viel Brimborium das weltweit erste Fernsehinterview mit dem NSA-Whistleblower Edward Snowden veröffentlicht. So weit so gut. Etwas überrascht hat die Welt dann aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass nur eine gekürzte Fassung des Interviews und nur eine Version mit deutscher Synchronisation gezeigt werden. Diese ist dann ebenso überraschend und auf den ersten Blick aus nicht nachvollziehbaren Gründen außerhalb Deutschlands gesperrt. Sowohl auf der Webseite des NDR als auch bei der auf Youtube geposteten Version des Interviews werden Menschen mit einer IP-Adresse außerhalb Deutschlands ausgesperrt.

Rechte-Theater

Auf einer eigens eingerichteten FAQ-Seite des NDR wird dazu folgende Begründung abgegeben: “Leider besitzt der NDR nicht die Auslandsrechte daran. Das Video kann deshalb nur in Deutschland abgerufen werden. […] Eine Fassung im Original-Ton können wir selbst leider nicht anbieten, weil wir dafür nicht über die erforderlichen Rechte verfügen.”

Das erstaunt, da bei allen Ankündigungen und aller Werbung und im Interview-Video selbst es so dargestellt wird, als hätte der NDR selbst dieses Interview organisiert und geführt. Und das hat er ja auch in gewisser Weise. Im Abspann des Interview-Videos und in einem Tweet des NDR bestätigt erfährt man, dass die Firma “CineCentrum Deutsche Gesellschaft für Film- und Fernsehproduktion mbH” Produzent des Interviews ist und damit alle Rechte hält. Auf der Webseite von CinceCentrum erfährt man, dass die “Studio Hamburg GmbH” alleiniger Gesellschafter (also Besitzer) von CineCentrum ist. Auf der Webseite des Unternehmens “NDR Media GmbH” kann man nachlesen, dass dieses 100% Besitzer von Studio Hamburg ist und selbst zu 100% dem NDR gehört.

Der NDR hat hier also seine eigene ihm vollständig gehörende Tochter CineCentrum mit der Produktion des Interviews beauftragt, sich dann aber nur die Rechte für die Verbreitung im Inland von der eigenen Tocher (also quasi sich selbst) besorgt. Das heißt, dass nun alle Menschen, die nicht in Deutschland wohnen oder nicht der deutschen Sprache mächtig sind und das Interview also gerne im Original gesehen hätten, erst einmal in die Röhre schauen. Nach einer kurzen Google-Suche konnte ich nämlich auf die Schnelle keinen ausländischen Sender finden, der die Rechte gekauft hätte und das Interview ausstrahlt.

Bewertung

Es mag sicherlich gute Gründe geben, wieso der öffentlich-rechtliche Rundfunk Arbeiten an konkreten Sendungen in private Tochterunternehmen auslagert. Der erste und wichtigste dürfte darin liegen, damit auch das finanzielle Risiko von Produktionen auszulagern. Wenn eine GmbH ein Projekt in den Sand setzt, ist maximal deren Einlagevermögen weg. Aber die Muttergesellschaft haftet darüber hinaus nicht für Verluste. Es ist auch möglich, dass kleine Teams in einem privatwirtschaftlichen Rahmen effektiver arbeiten können als als Teil einer öffentlich-rechtlichen Bürokratie. So kann man man Ressourcen sicherlich besser nutzen, indem das gleiche Team bei geringer Auslastung auch Aufträge von privaten Auftraggebern erfüllen kann. Ein letzter Grund liegt in der Möglichkeit, Projekte durch den Verkauf von Rechten an ausländische Sendern teilweise zu finanzieren und so Kosten für die Gebührenzahler zu sparen.

Das letzte Argument lasse ich im Falle von Unterhaltungsformaten wie dem Tatort oder ähnlichem gelten. Im Falle des Snowden-Interviews und bei allen anderen Formaten, wo es um Information und Aufklärung geht, darf dieser Gedanke aber nicht im Vordergrund stehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat immerhin einen Informations- und Bildungsauftrag. Und dieser darf nicht kleinlich auf die Einwohner Deutschlands begrenzt bleiben. Gerade beim Snowden-Interview dürften die Produktionskosten minimal gewesen sein, immerhin mussten hier keine Schauspielerinnen beschäftigt, keine Sets hergerichtet und keine Stuntwomen und Trickspezialisten bezahlt werden, so dass die Notwendigkeit einer Finanzierung durch den Verkauf von Auslandsrechten überhaupt nicht denkbar ist.

Meine Forderung ist klar die, dass sich der NDR und die anderen Rundfunkanstalten in Zukunft ihrer Verantwortung bewusst werden und bei Sendungen, die in den Bereich von Information und Bildung fallen, von vorne herein sicherstellen, dass diese für jeden Menschen dauerhaft und barrierefrei zugänglich sind. Wenn die eigentliche Produktion durch 100%ige Tochterfirmen übernommen wird, sollte das ja machbar sein.

Interessant ist für mich noch die Frage, ob Edward Snowden sich diesem Vorgehen des NDR bewusst war. Da sein Interesse ja eigentlich daran liegt, seine Botschaft möglichst weit zu verbreiten, kann ich mir kaum vorstellen, dass er solchen Modalitäten zustimmte.

Neues Testament

Als Nachsatz mag mir der blasphemische Vergleich des Rechtetheaters beim NDR und seinen Töchtern mit der Geschichte des neuen Testaments (Gott opfert seinen Sohn, der er selbst ist, um sich selbst zu besänftigen, damit er der Menschheit die Erbsünde vergeben kann) gestattet sein.

6 thoughts on “Snowden-Interview und Verbreitungsrechte

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