Das Popp-Experiment

Beim Landesparteitag der Piratenpartei Baden-Württemberg vor einer Woche in Konstanz wurde der zweite Teil des Landtagswahlprogramms für die Landtagswahl in Baden-Württemberg beschlossen. Anders als beim ersten Landesparteitag in Tübingen im April ging es dabei in großem Maße um Themen, die nicht direkt Teil des Grundsatzprogramm der Bundespartei sind.

Das Grußwort des Bundesvorstandes überbrachte zu Anfang der Veranstaltung der stellvertretende Bundesvorsitzende Andreas Popp. Um für seine Position zu werben, die Piraten müssten sich hauptsächlich auf ihre Kernthemen konzentrieren, führte er dabei ein Experiment durch:

Zuerst bat er alle Anwesenden sich zu stellen, danach nannte er eine Reihe von Aussagen und bat alle darum, sich jeweils hinzusetzen, wenn sie nicht mit der Aussage übereinstimmen, diese waren:

  1. Gegen Vorratsdatenspeicherung
  2. Gegen Netzsperren zur Bekämpfung von Kinderpornografie
  3. Für die Freigabe weicher Drogen
  4. Für einen sofortigen Atomausstieg
  5. Für ein bedingungsloses Grundeinkommen
  6. Für den sofortigen Abzug aus Afghanistan

Nach Punkt 6 standen nur noch sehr wenige Personen. Andi verwies auf dieses Ergebnis und wollte damit veranschaulichen, wie es der Piratenpartei schaden könnte, das Themenspektrum zu erweitern, weil man sich außerhalb der Kernthemen nicht auf gemeinsame Positionen einigen könnte.

Andis Appell an die versammelten Piraten zeigte wenig Wirkung. 30 Stunden später verabschiedete der Parteitag ein Programm, das unzählige Punkte enthält, die außerhalb des bisherigen Kernprogramms der Piraten liegen, wenn auch in den meisten Fällen direkt aus dem Geist des Grundsatzprogramms herleitbar sind. Fast alle dieser Punkte wurden jeweils mit einer sehr deutlichen Mehrheit angenommen, was Andis Vorstellung schon einmal widerlegt: Die Piraten (zumindest in Baden-Württemberg) können sich auch außerhalb der Kernthemen auf gemeinsame Standpunkte einigen.  Gerade bei den beiden in Andis Experiment angesprochenen Themen Atomausstieg und Freigabe weicher Drogen gab es bei den Abstimmungen beim Landesparteitag sehr deutliche Mehrheiten.

Ein wirklich kontroverses Thema auf dem Landesparteitag war die Frage nach dem Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft. Hier teilte sich die Versammlung etwa zur Hälfte in Gegner und Befürworter des praktischen Einsatzes von Gentechnologie in der Landwirtschaft. Nachdem dies deutlich geworden war, sprach sich die Mehrheit der Versammlung dafür aus, keine Aussage zum Thema ins Wahlprogramm aufzunehmen.

Betrachtet man die Ergebnisse des Popp-Experiments, muss man folgendes feststellen: Bei den ersten beiden Aussagen hat sich erwartungsgemäß niemand gesetzt. Bei den Punkten 3 und 4 waren es jeweils nur sehr wenige Personen (Würde schätzen jeweils weniger als 5). Als es um das bedingungslose Grundeinkommen ging, hat sich eine größere Menge gesetzt. Die meisten aber setzen sich bei der Frage nach dem Abzug aus Afghanistan.

Wirklich kontrovers scheint also nur das Thema Bedingungsloses Grundeinkommen zu sein. Nach dem Thema Abzug aus Afghanistan saßen nur deswegen so viele Personen, weil offensichtlich sehr viele Piraten in Baden-Württemberg gegen die populistische und in meinen Augen unverantwortliche Forderung eines sofortigen Abzugs sind.

Ich persönlich habe mich schon bei Frage 4 gesetzt. Ich bin nicht unbedingt für einen sofortigen Atomausstieg. Meiner Meinung nach könnte man die Laufzeiten der Atomkraftwerke durchaus noch einmal verlängern oder vielleicht sogar ein oder zwei neue bauen. Ich weiß aber auch, dass Kernspaltung mittel- und langfristig keine Zukunft hat und ich weiß auch, dass Großkraftwerke, wie sie AKWs zwangsweise sein müssen, dem piratigen Grundsatz von dezentraler und entmonopolisierter Versorgung widersprechen. Deswegen kann ich auch sehr gut mit den Beschlüssen des Parteitags zum Atomausstieg leben und kann diese ohne Bedenken auch nach außen vertreten.

Andis Experiment könnte man noch auf andere Weise widerlegen. Man könnte es wiederholen und dabei einige Fragen stellen, die zum Kernprogramm der Piratenpartei gehören und trotzdem unter den Piraten umstritten sind. Wie viele Piraten würden sich bei folgenden Aussagen setzen?

  1. Gegen Vorratsdatenspeicherung
  2. Gegen Netzsperren zur Bekämpfung von Kinderpornografie
  3. Für/Gegen eine Kulturflatrate
  4. Für/Gegen die Blockade von Nazi-Demos
  5. Für/Gegen Google Streetview
  6. Soll man das Grundgesetz ändern oder nicht?

7 thoughts on “Das Popp-Experiment

  1. Hätten sich bei “Für Netzsperren…” nicht eigentlich alle setzen müssen? Also, entweder ich bin blöd, oder das stimmt an der Liste was nicht. *kopfkratz*

  2. Mich wundert es, warum bei “für Netzsperren” die Leute noch stehen bleiben? Entweder hab ich was falsch verstanden oder da stimmt die Formulierung nicht.

  3. Ganz ehrlich: Ich habe die Fragestellung nicht sofort verstanden, da die Fragen teils mit doppelter Verneinung und mal mit für und mal mit gegen gestellt wurden, die Anweisung sitzen bzw. stehen brachte dann vollends Verwirrung.
    Und selbst wenn man 4-5Sekunden Zeit gehabt hätte es sich zu überlegen, die Fragen wären zu unpräzise gewesen, um sie unmissverständlich zu beantworten:
    Ist mit einem “sofortigen Atomausstieg” der Ausstiegsplan gemeint den damals Rot-Grün beschlossen hat, oder wirklich ein sofortiger ausstieg, am besten gleich morgen? Und auch gerade kontroverse und komplexe Themen wie den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr kann man nicht in 2-3 Sekunden endgültig beurteilen, die meisten dürften sich mit so einer Frage vor einem LPT auch nicht sonderlich beschäftigt haben oder vertreten eine Meinung die sich mit einem Ja/Nein zu dieser Frage schlichtweg nicht ausdrücken lässt.

    Man könnte nächstes mal auch fragen:
    Wer der Meinung ist, dass 56/8 gleich 7 ist, der soll jetzt nicht sitzen.
    Wer nicht der Meinung ist, dass 42*3 ungleich 126 ist, der soll jetzt stehen.
    Wer der Meinung ist, dass die Wurzel aus 49 nicht gleich 9 ist, der soll jetzt nicht stehen.

    Ich bin mir sicher das Ergebnis wäre vom Steh- und Sitzverhalten her nicht eindeutig, auch wenn es die Antworten mathematisch gesehen sind.

  4. Wenn man so wie ich, der Auffassung ist, dass man auch die potentiellen Gründe reduzieren muss, die dazu führen könnten, dass “Sicherheits”-Politiker weitere Einschränkungen der Freiheit fordern könnten und dafür gewählt werden, ist die Abschaffung der Energiegwseinnung uas Kernspaltung sehr piratig. Denn ein Anschlagsversuch auf ein kernkraftwerk und die ganze Überzeugnungsabeit die Piraten und andere online und offline gemacht haben, ist dann wieder zunichte gemacht.

  5. Pingback: Die Piraten und der Atomausstieg – Wolfsbeeren

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